Skepsis gegenüber AMS-Algorithmus

Das personalisierte Arbeitsmarktbetreuung /Arbeitsmarktchancen-Assistenz-System (PAMAS) teilt Arbeitslose in Kategorien mit unterschiedlichem Unterstützungsbedarf ein. Der Behindertenanwalt Dr. Hansjörg Hofer kritisiert die Einführung des AMS-Algorithmus.

Algorithmus, Credit: Markus Spiske on Unsplash

Datenbasierte Entscheidungen und technologische Lösungen („Algorithmen“) entscheiden über Reintegrationsschancen von Arbeitslosen.

Datengestütztes Modell stuft Reintegrationschancen Arbeitssuchender ein

Seit Anfang 2019 verwendet das Arbeitsmarktservice (AMS) einen vom Wiener Sozialforschungsinstitut Synthesisentwickeltes Arbeitsmarktchancen-Modell, das auf Verwaltungsdaten basiert. Ein Computer-Algorithmus teilt arbeitssuchende Menschen mit dem sogenannten „Personalisierte Arbeitsmarktchancen Modell“ (PA-MAS) (PAMAS ) in Gruppen.

Anhand eines statistischen Modells wird die prognostizierte Reintegrationschance in den ersten Arbeitsmarkt von AMS-Kundinnen und -kunden berechnet. Nach diesem Algorithmus werden die Arbeitssuchenden einem von drei Segmenten zugeordnet. Dabei steht „H“ für hohe, „M“ für mittlere und „N“ für niedrige (Wieder)Beschäftigungswahrscheinlichkeit.

Ingesamt werden 12 Hauptmerkmale mit 96 Ausprägungen in die Berechnung miteinbezogen. Dabei beziehen sämtliche Modellvarianten persönliche Merkmale, den bisherigen Erwerbsverlauf (inklusive vorheriger AMS-Geschäftsfälle) und den aktuellen Geschäftsfall in die Schätzung mit ein. Als Personenmerkmale werden beispielsweise Faktoren wie Geschlecht, Alter, Staatsbürgerschaft, Ausbildung, Betreuungspflichten und gesundheitliche Einschränkungen herangezogen. Auch der bisherige Erwerbsverlauf wird berücksichtigt – unter anderem der bisherige Beruf, das Ausmaß der Beschäftigung, die Häufigkeit und Dauer von Arbeitslosigkeit und etwaige AMS-Kursmaßnahmen.

Auf der Ebene der Personenmerkmale fließen folgende Variablen ein:

  • Geschlecht
  • Alter
  • Staatsbürgerschaft
  • Ausbildung
  • Betreuungspflichten
  • gesundheitliche Einschränkungen

Der bisherige Erwerbsverlauf und die vorangegangenen AMS-Geschäftsfälle betreffen:

  • den bisherigen Beruf
  • das Ausmaß der Beschäftigung
  • die Häufigkeit und die Dauer von Geschäftsfällen und den etwaigen Maßnahmeneinsatz
  • den Typ des regionalen Arbeitsmarktgeschehens.

Insgesamt können rund 80.000 mögliche Merkmalkombinationen errechnet werden, wobei die Korrelation dieser Merkmale als Basis für die Prognose dient. Mit dieser Segmentierung sollen geeignete Angebote für die jeweiligen Segmentzugehörigen bereitgestellt werden, darüber hinaus soll es damit möglich werden, die Betreuungsintensität zu variieren.

Die Integrationschance (IC) dient der Schätzung der Wahrscheinlichkeit, im Falle eines Zugangs zur Arbeitslosigkeit, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes eine bestimmte Anzahl von Tagen beschäftigt zu sein (Beschäftigungsintegration).

Erfahrungsberichte

Laut dem Netzwerk gemeinnütziger arbeitsmarktpolitischer Unternehmen in Österreich Arbeit+ zeigen erste Erfahrungsberichte, dass nur ein sehr geringer Anteil aller Arbeitssuchenden durch den Algorithmus in die Kategorie „H“ eingeteilt wird. Ende November 2018 war der überwiegende Teil der Arbeitssuchenden in das Segment „Mittel“ eingestuft (65 %) worden. 31 % wurden vom Algorithmus der Kategorie „Niedrig“ zugeordent und lediglich 4 % der Kategorie „Hoch“.

In Wien war der Anteil der Personen, die der Kategorie „Niedrig“ zugeordnet waren, mit 41 % höher als im österreichweiten Durchschnitt. Inwieweit sich AMS-Beraterinnen und -berater von dieser Einteilung beeinflussen lassen und ob weiterhin alle Beratungs-und Qualifizierungsangebote allen Zielgruppen zur Verfügung stehen, bleibt Arbeit+ zufolge offen.

Behindertenanwalt Hofer kritisiert Einführung des AMS-Algorithmus

Dr. Hansjörg Hofer © Dr. Hansjörg Hofer

Dr. Hansjörg Hofer

Der Anwalt für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen, Dr. Hansjörg Hofer kritisiert den Einsatz eines Computer-Algorithmus zur Einteilung von Kundinnen und Kunden des AMS in Kategorien mit unterschiedlichem Unterstützungsbedarf.

Diese Maßnahme habe Hofer zufolge bereits bei ihrer Planung für rege Diskussionen gesorgt, zumal Kriterien wie Alter, Geschlecht, Herkunft, Betreuungspflichten und Behinderung bei der Kategorisierung arbeitsuchender Menschen herangezogen würden. Kritikerinnen und Kritiker würden befürchten, dass dadurch verbreitete Vorurteile, die den Zugang bestimmter Bevölkerungsgruppen zum Arbeitsmarkt negativ beeinflussen, festgeschrieben und damit gleichsam legitimiert werden. Menschen mit vermeintlich sehr guten oder sehr schlechten Chancen am Arbeitsmarkt könnten, speziell angesichts begrenzter finanzieller Mittel, künftig nur mehr ein Mindestmaß an Unterstützung erhalten, befürchtet der Behindertenanwalt.

In einer Aussendung hielt Hofer fest, dass begünstigte Behinderte, die über einen entsprechenden Bescheid vom Sozialministeriumservice verfügen, zwar nicht in das PAMAS einbezogen würden, Personen mit gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen hingegen schon. In Österreich gebe es etwa 10.000 arbeitsuchende Menschen mit Begünstigung, denen etwa 70.000 Menschen mit gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen, wie Menschen mit Behinderungen ohne Begünstigung im Fachjargon des AMS bezeichnet werden, gegenüberstehen.

„Das AMS zieht sich von der Betreuung arbeitsuchender Menschen dort zurück, wo der Bedarf nach eingehender, individueller und intensiver Unterstützung am größten ist, nämlich bei Menschen mit Behinderungen. Da könnte der Eindruck einer systematischen Diskriminierung entstehen.“
Dr. Hansjörg Hofer

 

Blog von AMS-Vorstand Dr. Johannes Kopf

Literatur: Holl J, Kernbeiß, G. & Wagner-Pinter, M. (2018). Das AMS-Arbeitsmarktchancenmodell. Dokumentation zur Methode. Synthesis Forschungsgesellschaft m.b.H.