Nutzen der COVID-19-Impfung überwiegt Risiko – auch bei Multipler Sklerose

Ob COVID-19-Impfstoffe im Zusammenhang mit der Auslösung von Krankheitsschüben bzw. Krankheitsaktivität bei Menschen mit Multipler Sklerose (MS) steht, ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Dem Krankheitsbezogenen Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) zufolge ist es wissenschaftlich unbestritten, dass der Nutzen einer COVID-19-Impfung bei weitem größer ist als ein möglicher Schaden durch Nebenwirkungen der Impfung. Das gelte auch oder gerade für Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose. Denn Impfungen schützen nachweislich vor Infektionen oder schwächen sie ab und bieten damit einen „indirekten“ Schutz vor MS-Krankheitsaktivität, so das KKNMS.

Covid-19-Impfstoffe

Vor dem Hintergrund bisher verfügbarer Daten zur COVID-19-Impfung bei Menschen mit Multipler Sklerose sind Aussagen wie „die Impfung gegen COVID-19 löst MS-Schübe bzw. Entzündungen im zentralen Nervensystem aus“ nicht haltbar.

Fall-Kontroll-Studien für inaktivierte Impfstoffe – zu diesen zählen auch Impfstoffe gegen COVID-19 – sind dem Kompetenznetz zufolge zahlreiche Studien verfügbar. In diesen sei nie ein kausaler Zusammenhang zwischen Impfung und Krankheitsaktivität gefunden worden. „Im Gegenteil, es findet sich sogar eher Evidenz einer geringeren Krankheitsaktivität, denn Impfungen schützen nachweislich vor Infektionen oder schwächen sie ab und bieten damit einen ‚indirekten‘ Schutz vor MS-Krankheitsaktivität, die häufig im Zusammenhang mit Wildtyp-Infektionen beobachtet wird“, erklärte so Prof. Mathias Mäurer vom KKNMS.

Studie aus Israel

Eine Studie aus Israel zur COVID-19 Impfung mit mehr als 500 von Multipler Sklerose betroffenen Personen habe ergeben, dass im Zusammenhang mit der ersten Impfung mit dem Impfstoff von BioNTech/Pfizer 2,1% der geimpften Personen mit Multipler Sklerose einen Schub erlitten. Nach der  zweiten Impfung seien bei 1,6 % der Kohorte Multiple Sklerose-Schübe dokumentiert worden. Dieser Prozentsatz entspreche genau dem Anteil an von Multipler Sklerose betroffenen Personen mit Schüben im Vergleichszeitraum der Jahre 2017 – 2020. Diese Zahlen würden somit einen kausalen Zusammenhang unwahrscheinlich machen, so das KKNMS.

Studie aus Italien

Diese Beobachtung würde auch eine weitere Impfstudie aus Italien belegen. Zwei Monate nach der COVID-19 Impfung von 324 Personen mit Multipler Sklerose mit den Impfstoffen von BioNTech/Pfizer und Moderna sei bei 2,2% der Kohorte ein Multiple Sklerose-Schub dokumentiert worden, zwei Monate vor der Impfung sei bei 1,9 % der Kohorte ein Multiple Sklerose Schub registriert worden. Auch diese Daten würden laut KKNMS belegen, dass die Impfung nicht zur Veränderungen der Krankheitsaktivität führt und nicht als kausal für das Auftreten von MS Schüben angesehen werden könne.

Einzelfallberichte über schwere Schüben

Die in der Literatur dokumentierten Einzelfallberichte von schweren Schüben, die im zeitlichen Zusammenhang mit der COVID-19 Impfung auftraten, dürften auch den individuellen Erfahrungen von Neurologinnen und Neurologen sowie Menschen mit Multipler Sklerose in den vergangenen Monaten entsprechen. Man müsse sich aber klarmachen, „dass in einer Zeit, in der täglich tausende von Menschen geimpft werden, natürlicherweise ein zufälliger zeitlicher Zusammenhang zwischen den Impfungen und unterschiedlichen medizinischen Ereignissen beobachtet werden kann, ohne dass hierdurch direkt ein Kausalzusammenhang angenommen werden darf“, so das KKNMS. Fragen kausaler Zusammenhänge könnten nur durch kontrollierte Studien beantwortet werden.

Stellungnahme von KKNMS und Deutscher MS Gesellschaft

Angesichts dieser Sachlage sehen sich das KKNMS und die Deutsche MS Gesellschaft zu folgender Stellungnahme veranlasst, die nach Prof. Frauke Zipp den internationalen Impfempfehlungen entspricht:

  • Es gibt derzeit keine wissenschaftliche Evidenz, dass eine Impfung gegen COVID-19 zu einer Aktivitätszunahme bzw. Schubhäufung bei MS führt.
  • Die MS stellt demnach keinen Hinderungsgrund für eine Impfung gegen COVID-19 dar, der individuelle Nutzen der Impfung überwiegt das individuelle Risiko eines MS-Patienten.
  • Es mag dennoch (seltene) individuelle Konstellationen geben, in denen bei MS Patienten eine Impfung ausgesetzt bzw. verzögert werden muss. Diese Entscheidung sollte allerdings in Absprache mit einem erfahrenen MS-Behandler auf der Basis der individuellen Krankengeschichte getroffen werden. Von der Ausstellung pauschaler Atteste gegen eine Impfung, wenn der einzige Grund die MS-Diagnose darstellt, wird dringend abgeraten.
  • Ebenso wenig stellt die Anwendung einer MS-Immuntherapie – gleich welcher Art – eine Kontraindikation gegen die COVID-19-Impfung dar. Die in Deutschland verwendeten Impfstoffen, bei denen es sich nicht um Lebendimpfstoffe handelt, können somit auch gefahrlos bei immunsupprimierten Patienten angewendet werden – und sollten dies auch aufgrund der o.g. Vorteile. Es besteht unter Behandlung allenfalls das Problem, dass die Impfantwort ggf. beeinträchtigt ist, weshalb Boosterimpfungen erwogen werden können.