Immer kämpfen

von Anja Krystyn

 

Als ich die Diagnose MS bekommen habe, blieb ich erst einmal ruhig sitzen. Ich spürte weder Schock noch Panik, eher Erstaunen, was jetzt eigentlich los war. Erst allmählich begriff ich, dass ich einiges in meinem Leben würde ändern müssen, weil sich in meinem Körper etwas Grundlegendes geändert hatte. Nicht plötzlich und aus heiterem Himmel, sondern offenbar schon seit längerem. Vielleicht war ich  deshalb nicht völlig deprimiert, weil irgendwie schon vorbereitet.

„Du bist eine Kämpferin“, sagte unlängst eine Freundin bewundernd. Sie meinte damit, dass ich trotz Krankheit den Kampfmut nicht verloren hätte. „Was bleibt mir übrig?“, antwortete ich. „Soll ich mich einsperren, Trübsal blasen und warten, dass es immer schlimmer wird?“ So banal das klingt, aber das Leben geht weiter. Zum Glück hat die Natur jedem Menschen bei der Geburt eine große Portion Lebensmut mitgegeben. Dazu gehört die Fähigkeit sich anzupassen, Neues zu erlernen oder sich einzuschränken, ohne sich dabei schlecht zu fühlen.

Mut und Stärke verbindet man üblicherweise mit Kämpfern, sei es im Sport, im Krieg oder bei Katastrophen. Interessant, dass man Kraft oft von Menschen erwartet, die krank, also eigentlich schwach sind. Was ist, wenn ich diese Tugenden manchmal einfach nicht aufbringen kann? Ich will nicht stark sein müssen, wenn die Erschöpfung mich niederdrückt. Ich will nicht Mut haben müssen, wenn ich weiß, dass diese Krankheit nicht heilbar ist. Leichter ist es, die Dinge einfach anzunehmen und Vertrauen zu haben, dass es gut sein wird. Vielleicht nennt man diese Art von Mut eher Demut.

Seit der Diagnose haben sich die Quellen meiner seelischen Kraft geändert. Nicht mehr beruflicher Erfolg, die Anerkennung anderer oder das Schwimmen durch den See bis ans andere Ufer geben mir Befriedigung. All diese tollen Dinge hatten den Nachteil, dass in ihnen immer die Forderung nach Höherem lag. Müdigkeit galt als faule Ausrede.

Heute sind Ruhe und Innehalten die wichtigsten Quellen meiner Kraft. Ich habe viel nachgedacht, was mir im Leben wirklich wichtig ist. Wofür bin ich tatsächlich bereit zu kämpfen? Erst mit der Zeit hat sich in meinem Inneren der Mut zu mir selbst entwickelt, unabhängig von Menschen und äußeren Umständen. Ich habe Ressourcen in mir wiedergefunden, die ich vorher nicht wertgeschätzt habe.

Das tun zu können, was einem Freude macht, ist ein großer Kick für die Lebenskraft. Allerdings fällt er einem nicht in den Schoß, jedenfalls nicht jeden Tag. Manchmal braucht man dafür die altmodische Disziplin. Körperlich zu trainieren, auch wenn ich keine Lust habe, braucht Überwindung. Die verbliebenen Ressourcen, sei es Musikmachen, mit Menschen reden oder ein Handwerk lernen, müssen gepflegt werden, auch wenn ich lieber in die Luft schauen und mich bemitleiden möchte.

Der gut gemeinte Spruch „Lass dich nicht unterkriegen!“ hat mir bisher nie geholfen. Hingegen bin ich dankbar für Menschen, die mich beim Heben meiner Ressourcen unterstützen. Empathie und praktischer Hilfe sind das Einfachste, um meinen Lebensmut so zu steigern, dass ich ihn anderen weitergeben kann.

Anja Krystyn